Samstag, 17. November 2012

Gefährliches Halbwissen:
Warum man auf Eierkartons an der Wand verzichten sollte

Immer wieder begegne ich in Proberäumen, bei Musikern zuhause und auch bei Technikern in Projektstudios brandgefährlichem Halbwissen in Form von Eierpappen bzw. Eierkartons an den Wänden.

Zugegeben, auch ich beging diese noch dazu ausgesprochen hässliche Sünde, doch wurde glücklicherweise durch mein Studium eines besseren Wissens belehrt und aufgeklärt.

Meine Erkenntnisse teile ich euch gerne mit:

Fakt 1: diese Teile verstoßen gegen jedwede Brandschutzverordnung
Fakt 2: sie sehen nicht gut aus

und der wesentlichste Punkt:

Fakt 3: Sie machen in den meisten Fällen die Akustik eines Raumes noch schlimmer!

Ich überleg sowieso woher die Idee mit den Eierpappen kommt. Warscheinlich auf Grund der  zum Pyramiden-Schaumstoff ähnlichen Form?

Aber zurück zum Crash-Kurs-Akustik:
Jedes Material, egal ob eine Betonwand, Schaumstoff oder eben Eierpappen hat einen gewissen spezifischen Schallabsorptionsgrad. So weit so gut. Klingt ja nach dem was wir suchen. Schallapsorption oder "Schallschlucken". Das Problem: Der Absorbtionsgrad ist frequenzabhängig!

Alle Baustoffe, selbst unterschiedliche die sich sehr ähnlich sehen, absorbieren für einen bestimmten Frequenzbereich mehr oder weniger gut oder stark. Und so gut wie jeder Raum bringt seine sehr eigene Geometrie und Beschaffenheit mit sich. Das bedeutet, es gibt viele verschiedene Arten von Akustikelementen und Lösungen für eben sehr individuelle akustische Probleme.

Da wären zum Beispiel:

offenporig poröse Absorber (Schaumstoffe) für den hochfrequenten Bereich
Helmholtz-Resonatoren für spezifische Frequenzen im Mittenbereich
Bassfallen für die Ecken
Diffusoren zur Streuung der Reflektionen
nichtparallele Wände und Decken um Raummoden zu eliminieren.

Ein interessanter Einstieg in die Studio-Akustik bietet das LEDE-Konzept (Live End - Dead End)

Bevor ihr nun aber alle sofort in den Baumarkt rennt und euch Absorber und Resonatoren baut, sei gesagt, dass es eine gute Idee ist sich vorher mit eurem Raum zu beschäftigen!

Das Hauptproblem liegt darin, dass die akustischen Problemzonen der üblichen Räume selten im Hochtonbereich liegen. Schaumstoffe - oder wenn es anders nicht geht - Eierpappen sollten also das letzte sein über das ihr euch Sorgen machen müsst.

Im Allgemeinen liegen die Problemzonen der meisten Räume je nach Größe und Beschaffenheit zwischen 100Hz und 1.5kHz was den kompletten Mittenbereich einnimmt. Hörbar wird dies oft durch muffigen Sound (300Hz), nasalen Sound (800Hz) oder abgefahrene Flatter- bzw. Ping-Pong Echos bei 1Hz bis 1.5kHz. Lauft einfach einmal durch euren Raum und klatscht an verschiedenen Stellen in die Hände. Vor allem wenn euer Raum relativ "leer" ist kann man diesen Effekt sehr deutlich wahrnehmen.

Auch der Bassbereich bereitet oft Probleme. So genannte stehende Wellen sind eine Art Resonanz zwischen parallelen Wänden. Sie können horizontal, vertikal aber auch diagonal entstehen. Wenn ihr die Vermutung habt im Bassbereich dröhnt immerzu eine Frequenz speziell raus und das ist nur sehr lokal zum Beispiel direkt an deiner Abhörposition der Fall doch 50cm daneben nicht, dann ist das mit an Sicherheit grenzender Warscheinlickeit eine stehende Welle bzw. Raummode.

Habt ihr das Gefühl euer Raum verzerrt den Höreindruck dann überlegt euch am Besten eure Abhörposition einzumessen. Das geht mittlerweile sehr einfach und man braucht manchmal noch nicht mal mehr ein (kalibriertes) Messmikrofon. Man sollte mit diesen softwarekorrigierten Geschichten zwar vorsichtig sein, aber generelle Tendenzen lassen sich dadurch aufdecken. Ein interessanter Einstieg ist hierbei das Tool "Fuzzmeasure" für OSX auf dem Mac. Es gibt Sinussweeps von sich und man kann die Raumantwort aufzeichnen und auswerten.

Anfangen sollte man bei der Optimierung der Abhörbedingungen immer mit der Position der Lautsprecher im Raum und zum Raum. Idealerweise befindet man sich in einem Raum mit nichtparallelen Wänden. Der Raum sollte außerdem nicht quadratisch sein und das Verhältnis der Wandlängen sollte kein Vielfaches darstellen.

Idealerweise befindet sich die Abhörposition im "goldenen Schnitt" des Raumes also: Länge der längsten Raumwand zu längerem Teilstück wie längeres Teilstück zum Rest. Boxen in einem gleichschenkligem Dreieck zur Abhörposition aufstellen. Um ein komplettes Stereobild darstellen zu können, sollte der Abstand zueinander einen Meter nicht unterschreiten, eher sogar zwei Meter, gerne drei. Ebenso der Abstand der Boxen zu Wänden und Ecken des Raumes. Dieser sollte mindestens einen Meter oder mehr betragen. Boxen auf Ständern machen sich immer gut und wirken sich ungemein positiv auf den Bassbereich aus. Wenn Ständer nicht möglich sind, die Boxen vom Tisch oder der Meterbridge entkoppeln. Dafür gibt es auch spezielle Stabilizer, günstiger ist ein sehr harter Gummi. Je härter der Gummi desto niedriger die Resonanzfrequenz dieses Absorbers.

Akustische fragwürdig sind Spikes oder hängende Boxen. Dabei geht zusätzlich Schallenergie verloren, z.B. in Schwingenergie (Pendeleffekt). Optimum wäre das Einmauern der Boxen in die Wand mit der Membran bündig zur Wandoberfläche, aber wer kann sich das schon leisten.

Aufgabe: Finde den optimalen Abhörpunkt in deinem Raum. Miss den Frequenzgang an mehreren Stellen deines Raumes mit "Fuzzmeasure" oder einem ähnlichen Akustikprogramm und vergleiche die Diagramme. Wo gibt es Anhebungen und wo Absenkungen. Könnt ihr vielleicht sogar erklären warum?

Im zweiten Teil von "Gefährliches Halbwissen: Warum man auf Eierkartons an der Wand verzichten sollte" erkläre ich euch dann, wie man bestimmte Bereiche des Audiospektrums akustisch sinnvoll und elegant an der Abhörposition korrigiert.

Schaut also demnächst wieder rein.

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